Julius Herrmann stammte aus Zschöpperitz bei Altenburg und kam 1878 als Rektor der hiesigen Bürgerschule nach Kahla. Ab 1902 trug er auch die Verantwortung für die in diesem Jahr eingerichtete Mittelschule sowie für die verbindliche Fortbildungsschule, einem Vorläufer der heutigen Berufsschule. In seine Amtszeit fällt auch der Bau der „Neuen Schule“, dem heutigen Gymnasium, von 1901.
Seine langjährige Wohnung war im Hause des Landwirts Immisch in der heutigen August-Bebel-Straße 7.
Entscheidend für seine gesellschaftlichen Aktivitäten und damit auch über viele Jahre für seine beschwerlichen persönlichen Verhältnisse war eine Nachwahl zum Reichstag von 1880. Für die notwendige Stichwahl hatten sich die Nationalliberalen und die konservative Deutsche Reichspartei auf Justizrat A. Große geeinigt. Für dessen Kandidatur leitete Herrmann zusammen mit Amtsgerichtsrat Beyerlein Anfang Dezember 1880 in der Stadt eine Wahlversammlung. Dort distanzierte er sich von den gehässigen und ehrabschneidenden Reden, mit denen über den linksliberalen Kandidaten Eduard Kämpfer hergefallen und in denen dessen Anhänger „als offene oder verkappte Sozialdemokraten, als Vaterlandsfeinde usw.“ denunziert worden seien. Und in der darauf folgenden Versammlung erklärte Herrmann, nun für den Kandidaten der Fortschrittspartei zu stimmen. Damit positionierte er sich im bürgerlichen Lager weit links, weil Kämpfer auch von der demokratischen Altenburger Volkspartei unterstützt wurde, die ihre Wurzeln in den revolutionären Kämpfen von 1848 hatte.
Mit diesem Schwenk machte Herrmann sich bei den vorwiegend konservativen Honoratioren in der Stadt sehr unbeliebt, die fortan den Verkehr mit ihm mieden. Die Gehässigkeiten gegen ihn erreichten ein solches Ausmaß, dass er Kahla wieder verlassen wollte. Eine Gruppe Gleichgesinnter, die sich im „Kolleg“ zusammenfanden, hielten ihn davon ab, zumal er gleichzeitig nun in der nicht zur Stadtelite gehörenden Einwohnerschaft an Ansehen gewonnen hatte.
Auf der Woge dieser Popularität wurde Herrmann im Mai 1883 von den Wählern der 3. Klasse in den Landtag von Sachsen-Altenburg gewählt. Dort bildete er mit dem Meuselwitzer Fabrikanten Arthur Herbst und dem Löbschützer Zimmermeister Karl Härcher erstmals eine „prinzipielle Opposition“ zur Regierung. Das Besondere an diesem Wahlerfolg war, dass er in direkter Konkurrenz mit dem Eigentümer der Porzellanfabrik, Hermann Koch, errungen worden war. In Kahla hatte Herrmann 100, Koch 85 Stimmen erhalten. Seither hatte Herrmann in dem Fabrikdirektor einen einflussreichen Mitbürger gegen sich.
In einer Artikelserie in den „Thüringer Nachrichten“ zum Jahreswechsel 1883/84 wurde Herrmanns Tätigkeit im Landtag von seinen Widersachern scharf missbilligt. Die Quintessenz aus den Vorwürfen lautete: „Wir glauben freilich, daß er nicht nach Kahla berufen worden wäre, wenn man den schlummernden Volksbeglücker in dem Herrn vermuthet hätte. Wir wenigstens würden die Erziehung unserer Kinder einem so hochgradig politischen Schullehrer anzuvertrauen nicht wagen.“
Ende 1883 wurde Herrmann mit einigen Gleichgesinnten in den Bürgervorstand und dort zum Sprecher (Vorsitzenden) gewählt. Damir begann eine etwa sechs Jahre andauernde „liberale Ära“ in der Stadt. In seiner Funktion sorgte Herrmann dafür, dass dem Stadtrat konsequenter auf die Finger geschaut und die Verhandlungen im Bürgervorstand einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht wurden. Mit einer Reform des städtischen Wahlrechts sorgte er in Auseinandersetzung mit dem Stadtrat 1889 noch dafür, dass sich mehr Bürger an den Stadtverordnetenwahlen beteiligen konnten, darunter nun erstmals auch eine bemerkenswerte Zahl von Arbeitern.
Bei den Reichstagswahlen von Oktober/November 1884 gewann Herrmann in der Stichwahl das dem Herzogtum Sachen-Altenburg zustehende eine Mandat. Dabei setzte er sich als Kandidat der mit der Altenburger Volkspartei verbundenen Deutschen Freisinnigen Partei gegen den Vertreter der Deutschen Reichs- und Freikonservativen Partei durch, die ganz auf Bismarck ausgerichtet war. Bereits im Vorfeld der Wahl ließ die „Altenburger Zeitung“ am 26. Oktober 1884 verlauten: „Wenn Herrmann mit dieser demokratischen Partei verbunden ist, […] so ist er allen, die von der Demokratie nichts wissen wollen, unmöglich, ihn zu wählen.“ Und ein „Offener Brief“ aus Dienstädt in den „Thüringer Nachrichten“ vom 25. Oktober endete mit dem Fazit, dass man einem Manne, der „sich von einem solchen Programme tragen, sich an die Spitze eines solchen, alle Autorität und alles Unterthanenthum verleugnenden Aufrufs stellen läßt, unsere Stimme nicht geben“ könne. Obwohl es bei der Wahl einen eigenen sozialdemokratischen Kandidaten gab, hatten in Kahla alle potenziellen Wähler der Sozialdemokratie bereits im ersten Wahlgang für Herrmann gestimmt.
Für seine konservativen Gegner brachte das Wahlergebnis das Fass zum Überlaufen. Die vom Bürgermeister dominierte Schulinspektion wurde bei der Altenburger Kultusabteilung mit Vorschlägen vorstellig, die Herrmann bei der Landesregierung als lästigen Störenfried erscheinen lassen sollten. In dem Schreiben heißt es u. a., dass Herrmann „wegen seines Oppositionsgeistes […] und wegen seines verderblichen Einflusses auf große Kreise des Volkes als eine Calamität nicht nur für die hiesige Stadt, sondern für das ganze Land anzusehen“ sei. Zugleich hoffe man, dass durch Übertragung der Direktion an […] Subdiakon Böttger „ein anderer Geist“ in die Schule einzöge, „denn in der Klasse des Herrn Herrmann, welche […] infolge seiner agitatorischen Thätigkeiten vielfach gelitten“ habe, seien „die meisten Knaben schon politische Parteigänger geworden“. Mit diesen und weiteren Ansinnen kam die Kahlaer Schulinspektion allerdings nicht bei der Altenburger Kultusabteilung durch. Im Herbst 1885 unternahmen Herrmanns Widersacher in den „Thüringer Nachrichten“ eine erneute Attacke. Nach Aufzählung der vom Rektor verursachten vermeintlichen Problemen an der Schule lautete das Fazit des anonymen Verfassers: „Wir haben einen fortschrittlichen Reichsboten, aber eine rückschrittliche Schule.“
Nicht zuletzt diese hier bei weitem nicht vollständig angeführten Attacken gegen ihn führten dazu, dass Herrmann bei nachfolgenden Reichstagsahlen nicht wieder antrat. Hinzu kam, dass mit dem Aufstieg der Sozialdemokratie die Wähler aus der Arbeiterschaft mehr und mehr verlorengingen. Trotzdem blieb Herrmann weiterhin aktiv. Unter anderem legte er sich anfangs der 1890er Jahre im Zusammenhang mit dem kurzzeitig existierenden Werkkonsum der Porzellanfabrik mit dessen neuen Direktor, Johann Bünzli, an. Bis zu seinem Tode am 18. April 1918 war er Mitglied des Landtags, seit 1898 dann als Vertreter der 2. Steuerklasse.
Seine Beerdigung fand unter breiter Anteilnahme statt, die von der sozialdemokratischen Landtagsfraktion bis zum Herzog reichte und in die sich auch die aktuellen maßgebenden Kreise der Stadt einreihten. In den dabei gehaltenen Reden wurde über die Schmähungen, denen der Rektor in der Vergangenheit ausgesetzt war, der Mantel des Schweigens gehüllt. Nur einer seiner langjährigen Parteifreunde erinnerte in einem Nebensatz an diese Verunglimpfungen als „Reichsfeind“.
Der Autor dieser sehr gerafften Lebensskizze würde es sehr begrüßen, wenn Julius Herrmanns Name in die Bezeichnung unseres Gymnasiums aufgenommen würde. Nicht nur, weil er als langjähriger Rektor der Kahlaer Schulen sehr eng mit dem Bau des Gebäudes verbunden ist. Er war für seine Zeit in seinen vielfältigen Funktionen ein fortschrittlicher liberaler Mann, dem die Stadt viel verdankt und dem die honorigen konservativen Kreise das Leben oft schwer gemacht haben.
Dr. Peer Kösling