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Erinnerungen wachhalten – Gedenken an den Stolpersteinen 09.11.2020

Der 9.11. steht als Jahrestag für die Novemberpogrome 1938. Er markiert einen traurigen Höhepunkt in der Diskriminierung von deutschen Jüd*innen, auch für die jüdischen Familien in Kahla. Sie wurden wie vielerorts in den 1930er und 1940er Jahren drangsaliert, verfolgt und deportiert. Viele überlebten diese Zeit nicht.

Das öffentliche Gedenken an das Leben und Schicksal der Kahlaer Jüd*innen im 20. Jahrhundert ist für uns wichtig. Das Gedenken und die Erinnerungen an die Jüd*innen im Nationalsozialismus hat in Deutschland eine lange Tradition. Mit dem Ende des 2. Weltkriegs und dem Offenlegen der NS-Verbrechen war klar: Nie wieder Faschismus! Das bedeutet für die Gegenwart: Wachsambleiben gegenüber Raumnahme von menschenfeindlichen Ideologien. Damit sich so etwas wie die systematische Verfolgung Vernichtung von Menschen wie unter dem NS-Regime niemals wiederholt.

Gedenken ist aktuell und notwendig angesichts andauernder antisemitischer Vorfälle. In der letzten Zeit gab es neben verbalen Angriffen von Jüd*innen, die Kippa oder einen Davidstern tragen, körperliche Angriffe auf sie mit einem Klappspaten bis zum Terroranschlag in Halle.

Das Gedenken unter Coronabedingungen stellt besondere Ansprüche an uns alle. Die Verordnungen des Bundes, des Landes und des Landkreises bestimmen zu dieser Zeit, dass maximal 10 Personen aus nicht mehr als 2 Haushalten zusammenkommen dürfen. Diese Bestimmungen trafen die politischen Verantwortungsträger*innen, um die Gesundheit der Bürger*innen zu bewahren und eine zweite Infektionswelle zu brechen.

Um den Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie gerecht zu werden und öffentliches Gedenken zu ermöglichen, stand am, Montag, den 09.11.2020 von 10 Uhr bis 15 Uhr je eine Mitarbeiterin des Demokratieladens an den Stolpersteinen in der Roßstraße und der Rudolf-Breitscheidt-Straße bereit, um die Gedenkbeiträge interessierter Bürger*innen zu begleiten und auf Wunsch zu dokumentieren. Dazu hatten wir Zeitfenster von jeweils 15 Minuten gesetzt, um ein Zusammentreffen von mehr als 2 Haushalten vorzubeugen. Während der gesamten Zeit achteten wir auf die Hygienemaßnahmen (Mund-Nasen-Schutz, Abstand und Einweghandschuhe). Auch stellen wir unser Schaufenster, unsere Homepage und unsere Facebook-Seite für die Veröffentlichung von Beiträgen zum Gedenken zur Verfügung, damit diese in Zeiten von Corona trotzdem gesehen und gehört werden.

Es folgen Stimmen und Eindrücke.



„Die SPD Saale-Holzland und der Ortsverein Kahla/Südliches Saaletal empfinden dieses Gedenken als sehr wichtig. Die Geschehnisse im Frühjahr 2020 bei der Wahl des Ministerpräsidenten und auch die nach wie vor schwierige Pandemielage zeigen, dass die Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist, sondern immer wieder Erklärungen und eine Auseinandersetzung bedeutet.“

Irene Schmidt, MdK und stellvertretende Vorsitzende der SPD Saale-Holzland-Kreis


„1945 – 2020, 75 Jahre Gedenken
Heute, am 9. November 2020, gedenken wir der jüdischen Einwohner von Kahla. Aus ihrem täglichen Leben in unserer Stadt in den 40iger Jahren von den National-Sozialisten deportiert, kamen sie in ein KZ. Einige von ihnen überlebten, andere wurden ermordet.

Kahla hat auch eine andere, gleichermaßen erinnerungswürdige, menschliche Geschichte, die mit Rüstung und Zwangsarbeit verbunden ist. Denn bereits ab 1940 beschäftigt man Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene im Porzellanwerk.

Dazu kamen ab April 1944 mehr als 12.000 Zwangsarbeiter, die zum Bau des unterirdischen Rüstungswerk ‚REIMAHG‘ eingesetzt wurden. 

Unser Förderverein „Mahn- und Gedenkstätte Walpersberg“ e.V. mit Sitz in Kahla, arbeitet, forscht, recherchiert, bewahrt und dokumentiert die Geschichte und Schicksale dieser Zwangsarbeiter, damit auch deren Geschichte nicht vergessen wird.

Nur wer aus der Geschichte lernt, begeht nicht denselben Fehler. Gerade in der heutigen Gesellschaft sollte diese Botschaft uns leiten und führen, damit wir nie wieder neue Stolpersteine in den Straßen von Kahla legen müssen.“


Patrick Brion, Förderverein „Mahn- und Gedenkstätte Walpersberg“ e.V.


„Wie jedes Jahr gedenken wir heute der vielen Opfer der Pogromnacht vom 9. November 1938, die auch in Kahla Menschen das Leben kostete. Mit diesen, in den öffentlichen Boden eingebrachten, Gedenktafeln soll auf das Schicksal der Opfer des Nationalsozialismus erinnert werden. Auch heute gilt es wieder wachsam zu sein und gegen jede Form der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit aufstehen. Als Zeichen für Demokratie und gegen das Vergessen sind solche Aktionen besonders wichtig. Immer noch ist eine aktive Kultur des Andenkens bedeutsam in unseren Tagen, um ein friedliches Miteinander und Solidarität gegen Antisemitismus und Hetze zu verteidigen.“

Franziska Lange, Vorsitzende des Geschichts- und Forschungsvereins Walpersberg e.V.


„[…] Die Erinnerung an die jedes menschliche Maß sprengende Vernichtungsmaschinerie muss wach bleiben. Darum ist es gut, wenn auch junge Leute wie in den vergangenen Jahren die Stolpersteine in unserer Stadt säubern und der Toten gedenken. Dass die Erinnerung an die schrecklichen Ereignisse Menschen auch in Deutschland nicht mehr von Hasspropaganda und antisemitischen Anschlägen, ja von Morden, abhält, ist besorgniserregend. Das haben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzlerin Angela Merkel deutlich zum Ausdruck gebracht.

Es schmerzt zu sehen, wie Abgrenzung und Nationalismus in einigen Staaten Mitteleuropas – auch in Deutschland – nach dem Aufbruch in ein durch die gemeinsame Kultur verbundenes Europa nach dem Zweiten Weltkrieg wieder zunehmen und die mühsam errungene Gemeinschaft herausfordern. Die Reichsprogromnacht ist für uns Anlass, dass wir uns auf die Grundlagen unserer Gesellschaft besinnen. Die Wertvorstellungen, die uns oder doch zumindest die meisten Menschen in unserem Lande einen, speisen sich aus der christlichen Religion und der Aufklärung des 18. Jahrhunderts. Nach den Erfahrungen aus Diktatur und Weltkrieg formten beide den Geist, in dem unser Grundgesetz geschrieben wurde, und beide lassen uns unseren Mitmenschen mit Achtung, einem Grundvertrauen und – ja auch mit Zuneigung begegnen, selbst wenn das manchmal sehr schwer fällt. […]“

Prof. Dr. Frank Hellwig, Vorsitzender der CDU Kahla


„Die antisemitischen Pogrome vom 9./10. November 1938 sind Mahnung an uns alle!
In der Roßstraße und in der Rudolf-Breitscheidt-Straße erinnern, sichtbar für alle, die Stolpersteine an die Kahlaer Jüdinnen und Juden, welche während des Nationalsozialismus verfolgt und ermordet wurden.
Antisemitismus ist nach wie vor aktuell und tief in unserer Gesellschaft verwurzelt. Der rechtsterroristische Anschlag auf die Synagoge in Halle zeigt dies deutlich!
Die BO Kahla spricht sich gegen jeden Antisemitismus aus und ruft alle auf, im Sportverein, zur Familienfeier oder auf dem Schulhof antisemitischen, rassistischen und rechten Äußerungen deutlich zu widersprechen!
#NieWieder #KeinVergebenKeinVergessen“

Basisorganisation DIE LINKE. Kahla & Umgebung


Zum OTZ-Plus-Beitrag.

Zum Beitrag vom Förderverein „Mahn- und Gedenkstätte Walpersberg“ e.V.: deutsch | english

Zu den jüngsten Informationen über die jüdischen Familien aus Kahla vom Stadthistoriker Peer Kösling.

Pilgern um den Dohlenstein

Am 18. Juli und am 17. Oktober luden die Diakonie Mitteldeutschland, die evangelische Kirchgemeinde Kahla, die Akteursrunde und der Demokratieladen Kahla zum Pilgern um den Dohlenstein ein. An beiden Tagen machten sich etwa 20 Personen gemeinsam auf den Weg.

Pilgern ist bewusstes Unterwegssein, eine bewusste Gestaltung einer Wegetappe, die symbolisch für den ganzen Lebensweg steht. Gehen und Ruhen wechseln sich dabei ab, Momente der Stille mit dem Gespräch, gezielte Impulse mit freiem Gedankenfluss. Das tut gut, bringt in Bewegung und in Kontakt – mit sich selbst, mit der Natur, mit anderen Menschen, die mit auf dem Weg sind.

Eine erfahrene Pilgerbegleiterin gab vielseitige Anhalts-Punkte dazu: Wo liegen meine Grenzen? Wie gestaltet sich Freiheit? Worauf kommt es eigentlich an, welche Erfahrungen im eigenen Leben zählen am Ende wirklich und mit welchen Maßstäben messe ich andere und mich selbst?

Der gemeinsame Weg endete gemütlich im Pfarrhof der evangelischen Kirchgemeinde Kahla.

Die OTZ berichtete über die erste Pilgerrunde am 18. Juli 2020:
https://www.otz.de/regionen/jena/demokratie-projekte-zum-pilgern-um-den-dohlenstein-id229555700.html

Radtour wider das Vergessen. Erinnerungsorten und Lokalgeschichte in Kahla und Jena auf die Spur kommen

Am 8. Mai kapitulierte die Wehrmacht. Der Krieg, der Millionen Menschen das Leben gekostet hatte, war damit in Europa beendet. Seitdem wird der 8. Mai international als Tag der Befreiung vom Hitler-Faschismus gefeiert. Auch in Kahla und Jena war der 8. Mai für die Zwangsarbeiter*innen, Jüdinnen und Juden, politischen Gegener*innen und alle anderen Opfer des nazistischen Terrorregimes ein Tag der Befreiung.

Bereits im letzten Jahr begaben wir uns auf Spurensuche und radelten zu Orten der Region, an denen Menschen Zwangsarbeit leisten mussten. Dieses Jahr – 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs – machen wir uns erneut auf den Weg: Diesmal nach Kahla, Rothenstein und Jena, um an die Schicksale der Zwangsarbeiter*innen und Akte widerständigen Handelns zu erinnern.

Tourverlauf

An der ersten Station der „Radtour wider das Vergessen. Erinnerungsorten und Lokalgeschichte in Kahla und Jena auf die Spur kommen“ beleuchten wir zunächst jüdisches Leben in Kahla und erinnern an die Schicksale von mehreren Familien. Außerdem beschäftigen wir uns mit den Lebens- und Wohnbedingungen von Zwangsarbeiter*innen des NS-Rüstungswerks REIHMAG im Walpersberg bei Kahla und suchen das Gebäude auf, in dem diese in Kahla während des Zwangsarbeitseinsatzes untergebracht waren.

Die zweite Station führt uns nach Rothenstein, wo in der Vergangenheit unterirdische Anlagen die Produktion der Zeiss-Werke während der Kriegsjahre sichern sollten. Dieser Ort wurde auch als Waffenlager genutzt.

Zuletzt geht es mit dem Rad nach Jena. Dort machen wir zunächst in Göschwitz Halt und setzen uns mit Jenaer Unternehmen auseinander, die NS-Zwangsarbeiter*innen in der Rüstungsproduktion eingesetzt hatten. Wir greifen auch den Umstand auf, dass auch heute noch Jenaer Unternehmen in der Rüstungssparte aktiv sind. An dieser Station werden wir darüber hinaus auch Akte des Widerstand unter den Zwangsarbeiter*innen beleuchten.

Als vorletzte Station steuern wir das Kassablanca in der Nähe des Westbahnhofs an, das als Veranstaltungsort für Musik und Kultur bekannt ist. Doch auf dem Gelände gibt es auch einen Gedenkort: einen historischen, restaurierten Güterwagen, der besichtigt werden kann.

Die Tour endet am Saalbahnhof, wo wir an die Ausbeutung der Zwangsarbeiter*innen bei der Reichsbahn erinnern möchten.

Wir laden Sie ein, gemeinsam mit uns in Kahla, Rothenstein und Jena auf Spurensuche zu gehen und an die NS-Zwangsarbeiter*innen und jüdischen Familien zu erinnern.

Alle Informationen zu Ort, Zeit, beteiligte Partner*innen und Ablauf erfahren Sie im Flyer. Unter anmeldung.radtour [at] gmail.com können Sie sich bis zum 21. August 2020 anmelden.

Weiterführende Literatur zum Thema

Die Verfolgung und Vernichtung der Kahlaer Jüdinnen und Juden 1933 bis 1945

Nationalsozialistische Lager und ihre Nachgeschichte in der StadtRegion Jena

Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg – Begleitband zur Ausstellung

Rückblick Radtour wider das Vergessen 2019

Ein Bericht der vergangenen Tour findet sich hier.